Der Flughafen Zürich hat bereits heute die kürzesten Betriebszeiten, die tiefste Kapazität und die strengste Beschränkung bei Nachtflügen im Vergleich mit anderen europäischen Drehkreuzflughäfen. Trotzdem will eine kantonale Volksinitiative die heute geltenden Betriebszeiten von 06:00 bis 23:30 Uhr um 30 Minuten kürzen. Wie eine Studie von Intraplan aufzeigt, wäre damit eine massive Schwächung des schweizerischen Luftfahrtstandorts und der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz verbunden. Die gute Anbindung der Schweiz an die Welt würde fahrlässig aufs Spiel gesetzt. Im letzten Teil der Serie werden die wichtigsten Fragen rund um Verspätungen beantwortet.
Wie und wo sind die Betriebszeiten am Flughafen Zürich geregelt?
Luftfahrt ist Sache des Bundes. Entsprechend sind die Betriebszeiten über verschiedene nationale Gesetze und Verordnungen, im Sachplan des Bundes sowie darauf basierend im Betriebsreglement geregelt. Für den Flughafen Zürich gilt: Der reguläre Flugverkehr darf zwischen 06:00 und 23:30 Uhr abgewickelt werden. Starts können nur bis 22:45 Uhr und Landungen bis 22:55 Uhr geplant werden. Die halbe Stunde zwischen 23:00 und 23:30 Uhr ist für den Abbau von Verspätungen reserviert. Diese sind ohne besondere Bewilligung zugelassen – der sogenannte «bewilligungsfreie Verspätungsabbau».
Wozu dient der bewilligungsfreie Verspätungsabbau?
Verspätungssituationen können in der global stattfindenden Luftfahrt in jedem Moment auftreten. Genau hier greift der bewilligungsfreie Verspätungsabbau und ermöglicht es dem Flughafen Zürich, den ordentlich geplanten Flugbetrieb auch unter erschwerten Bedingungen abwickeln zu können. Der Verspätungsabbau ist entscheidend, um den Auftrag des Bundes zu erfüllen: Den Betrieb eines Drehkreuzes mit Direktverbindungen in den wichtigsten Zentren Europas und der Welt.
Was bedeutet der Wegfall des Verspätungsabbaus?
Gemäss Intraplan ist der Verspätungsabbau ein kritischer Zeitbereich «mit besonderer Relevanz für späte Langstreckenabflüge und die Rückkehr von Flugzeugen zur Heimatbasis für den Nachtstopp».Analog der SBB gilt für jeden Tag in der Woche im Sommer- bzw. im Winterflugplan ein «Taktfahrplan» in der Luft. Damit dieser eingehalten werden kann, müssen die Flugzeuge der aus Zürich operierenden Fluggesellschaften am Abend dort sein, wo sie am nächsten Morgen im Flugplan vorgesehen sind.
Fällt der Verspätungsabbau aufgrund einer Betriebszeitenkürzung weg, könnte beispielsweise ein verspätetes Flugzeug aus London abends nicht mehr in Zürich landen. Die Konsequenz: Der für den nächsten Morgen geplante Flug aus Zürich muss gestrichen werden, ebenso die weiteren mit dieser Maschine geplanten Verbindungen.
Ähnlich verhält es sich mit einem Langstreckenflugzeug, das abends nicht mehr starten darf. Hebt es erst am nächsten Morgen ab, nimmt es eine Abflugverspätung von rund 8 Stunden mit. Diese kann teilweise erst im Zeitraum von einer Woche komplett abgebaut werden. Bei einem Flugausfall müssten für mehrere Hundert Passagiere Hotels gefunden werden, alternativ zur Übernachtung am Flughafen. Weiter müsste aufgrund der Ruhezeitregelung eine Ersatz-Crew aufgeboten werden. Auch verderbliche Fracht, welche oftmals im Bauch von Passagierflugzeugen transportiert wird, gelangt nicht rechtzeitig ans Ziel. Störungen und Ausfälle von einzelnen Maschinen können vom System zum Teil abgefangen werden – werden diese hingegen systemisch, ist ein verlässlicher Drehkreuzbetrieb nicht mehr möglich und wichtige Direktverbindungen fallen ersatzlos weg.
Was sind Verspätungsgründe und wie entstehen Verspätungen?
Technische Störungen an Flugzeugen oder der Flughafenanlage, Wetterbedingungen am Start- oder Zielflughafen (Gewitter, Schnee) oder unterwegs (Gegenwind), Streiks an ausländischen Flughäfen oder Flugsicherungen sowie unvorhersehbare Ereignisse wie Luftraumbeschränkungen aufgrund von fehlenden personellen Ressourcen oder geopolitischen Gründen gehören zu den häufigsten Verspätungsgründen. Während die ersten drei Gründe auch am Flughafen Zürich auftreten können, führen laut Intraplan viele «von ausserhalb des eigenen Einflussbereichs eingebrachte Flugverspätungen zu Störungen im komplexen Flugablauf».
Zum Teil entstehen Verspätungen bereits am frühen Morgen, weil der Luftraum in Europa eingeschränkt oder gesperrt ist. Diese Einschränkungen liegen ausserhalb des Kompetenzbereichs des Flughafens, der Fluggesellschaften und der Schweiz. Würde der Verspätungsabbau wegfallen, könnte ein Flugzeug seine ursprünglich geplanten Rotationen nicht mehr fliegen. Mit einer Rotation weniger wird die Wirtschaftlichkeit des Flugzeugs in Frage gestellt. Das Resultat sind Angebotskürzungen und eine Verschlechterung der Anbindung der Schweiz. Eine Kürzung der Betriebszeiten würde also lediglich den Standort Zürich und die hier tätigen Fluggesellschaften schwächen – die Profiteure wären ausländische Flughäfen und Fluggesellschaften.
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Gibt es wirksame Massnahmen, die Verspätungen am Flughafen Zürich zu reduzieren?
In ihrem eigenen Einflussbereich ergreift die Flughafen Zürich AG zusammen mit ihren Partnern betriebliche Massnahmen, um Verspätungen in Zürich möglichst zu reduzieren. Dies betrifft jedoch lediglich einen kleinen Teil der Verspätungen. Eine hohe Wirksamkeit versprechen, nebst den Pistenverlängerungen, Massnahmen in den Betriebsverfahren, welche die Verspätungsanfälligkeit des Betriebs reduzieren. Diese Anpassungen hängen aber in zum Teil jahrzehntelangen Verfahren. Die aktuelle Revision des SIL-Objektblatts bietet Gelegenheit, diese Verfahren zu deblockieren. Ebenso beantragt die Flughafen Zürich AG höhere Lärmgebühren ab 23:00 Uhr, um operative Anreize zur weiteren Reduktion von Verspätungen am Abend zu setzen (siehe Bericht hier).
Gibt es bei einer Verkürzung der Betriebszeiten um 30 Minuten weniger Verspätungen?
Intraplan schreibt, dass eine Reduktion der Betriebszeiten um 30 Minuten «bezüglich der Verspätungssituation eine eingeschränkte Wirksamkeit erwarten [lässt], weil die Verspätungen häufig Flugereignisse ausserhalb» der geplanten abendlichen Flüge liegen. Zudem nähme «der Druck auf den Tagesbetrieb» zu, «weil noch mehr Flüge in noch weniger Zeit abgewickelt werden müssen», selbst wenn Flüge ersatzlos wegfallen. Gesamthaft ist mindestens in einer Übergangszeit mit höheren Verspätungen «und dadurch nur minimal abnehmenden Nachtflugzahlen zu rechnen». Zielführender sei es «entsprechende Anreize zum Einhalten der Planzeiten (z.B. erhöhte Lärmgebühren) zu erwägen».
Kürzere Betriebszeiten führen gemäss Intraplan zu einer spürbaren «Verschlechterung der Erreichbarkeit der Schweiz im internationalen Wettbewerb». Dazu kommt, dass «der Flughafen Zürich angesichts des an anderen europäischen Drehkreuzflughäfen geplanten Kapazitätsaufbaus auch bereits ohne [eine Verkürzung der Betriebszeiten] deutlich an Wettbewerbsfähigkeit verliert». Mit Worten von Intraplan: «Für eine vergleichsweise geringe Wirkung wäre ein hoher Preis zu entrichten» – zum Nachteil des Flughafens Zürich, zum Nachteil der Schweiz und unseres Wohlstands.
Intraplan-Studie zu verkürzten Betriebszeiten
Im Jahr 2018 untersuchte Intraplan Consult GmbH die Auswirkungen einer Verkürzung der Betriebszeiten um 30 Minuten und die damit verbundene Vorverlegung von Slots der letzten Welle am Flughafen Zürich. Der Abschlussbericht wurde im Mai 2019 vorgelegt und basiert auf Zahlen aus dem Jahr 2018. Das damalige Flugangebot ist vergleichbar mit dem heutigen. In den ersten zwei Teilen der Serie wurden die volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Effekte sowie deren Auswirkungen auf die Schweiz und die Fluggesellschaften beleuchtet.
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