Der Arbeitsalltag der drei Mitarbeitenden der Flughafenkirche ist sehr vielfältig, in weiten Teilen ungeplant, unvorhersehbar und unberechenbar. Denn die Seelsorge am Flughafen ist gefragt – nicht nur, aber besonders in Krisensituationen.
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Anlaufstelle für alle Lebenssituationen
Die Hauptaufgabe der Seelsorger:innen ist es, Menschen in Ausnahmesituationen aller Art zu begleiten und in Lebensthemen, die umtreiben, sorgen und bewegen, ein offenes Ohr anzubieten. Die Bandbreite an Anliegen reicht von Beziehungsproblemen, Angst, Mobbing, über psychische Probleme, Suchtthematiken bis hin zu Fragen zu Glauben und Spiritualität. Flughafenseelsorgerin Andrea Thali, die seit 1999 in diesem Berufsfeld tätig ist, erläutert: «Unser Motto ‘in transit with you’ ist sehr passend. Wir sind da in einer Zeit des Übergangs, wenn Menschen sich in einem inneren und äusseren Ausnahmezustand befinden, in dem sie einen vorübergehenden Halt brauchen. Dann können wir manchmal ein wenig Heimat auf Zeit sein.» Die Kümmer:innen in der Not sind rund um die Uhr erreichbar und jemand von ihnen ist stets auf Pikett.
«Oft werden wir von der Polizei oder vom Terminal Management gerufen, wenn Personen in Not sind. Das kann ein gestrandeter Passagier sein, eine psychisch auffällige Person, ein Unfall oder auch mal ein Todesfall», führt Andrea aus. Das Seelsorgeteam ist auch eng eingebunden in die Care-Organisation des Flughafens, die bei Krisenereignissen aktiviert wird.
Interreligiös und für alle offen
Im Check-in 2 ist die Flughafenkirche mit ihren interreligiösen Andachtsräumen Anlaufstelle für Menschen aus aller Welt und allen Glaubens. Daneben gibt es am stillsten Ort der grössten Verkehrsdrehscheibe der Schweiz auch ein spirituelles Angebot mit Gottesdiensten, Meditationen, Abschiedsfeiern oder ab und an auch Hochzeiten und Taufen.
Andreas Arbeit lebt vom Moment. Sie hat schon viele herausfordernde, aber auch schöne Momente erlebt: «Gerade wurde ich gerufen, um eine junge Frau zu betreuen, die Zeugin eines Suizids wurde. Einmal mehr ging mir durch Kopf und Herz, dass wir Menschen zwar nicht retten, aber mit ihnen durch eine schwierige Situation gehen und ein Anker sein können.» Die Flughafengeschichten sprudeln nur so aus ihrem grossen Erfahrungsschatz heraus. Einmal wurde die sie aufgeboten, um einen Mann im Dock E zu betreuen, der schon zwei Mal den Flug verpasst hatte, weil er kurz vor Abflug zu viel Alkohol konsumiert hatte. Einem Mitarbeitenden der Securitiy tat der Mann leid und er fragte etwas zögernd an, ob die Seelsorgerin die noch verbleibenden vier Stunden vor dem erneuten Flug mit dem Passagier verbringen könnte. «Meine Aufgabe war es, mit ihm Kaffee und Wasser zu trinken, ihn ein wenig abzulenken und einfach zu schauen, dass er nüchtern bleibt. Der Herr war sehr belesen und wir führten ein überaus spannendes Gespräch. Die Zeit verging wie im Flug und wir waren beide glücklich, dass wir das gemeinsam hinbekommen haben.»
Das Team der Flughafenkirche besteht aus Stephan Pfenninger-Schait (l.), Jacqueline Lory und Andrea Thali.
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Jederzeit erreichbar
Flexibilität und Belastbarkeit sind Kernkompetenzen von Andrea. Sie muss zu jedem Zeitpunkt damit rechnen, mit schwierigen Lebenssituationen wie Krankheit, Tod oder enormen psychischen Belastungen konfrontiert zu werden. Berührungsängste kennt die studierte Künstlerin und Theologin nicht. Wenn man mit ihr durch die Terminals geht, grüsst sie da und dort, schüttelt etliche Hände und fragt immer kurz nach dem Befinden. Die Mutter eines 13-jährigen Sohnes sinniert: «Wir sollten uns in einem mitfühlenden und nicht urteilenden Raum bewegen. Das ist nicht immer einfach.»
Andrea geht offen und ruhig auf andere zu. Sie liebt die Menschen und die Geschichten, die sie zu erzählen haben, auch wenn es keine leichten sind. Sie brennt für ihren Beruf, auch noch nach über 20 Jahren im Dienst der Menschen des Flughafens.
Im Alltag einer Seelsorgerin ist «Ruhe bewahren» ein zentrales Motto.
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Eine andere Welt
Obwohl die Grundelemente ihres Auftrags dieselben blieben, veränderten sich die Themen und Schwerpunkte im Laufe der Jahre. Das sei an einem so internationalen Ort wie dem Flughafen unmittelbar spürbar, berichtet Andrea: «Vor zwanzig Jahren waren wir fast täglich mit Asylsuchenden vom afrikanischen Kontinent beschäftigt. Die Flugzeugunfälle in Halifax und bei Bassersdorf, das Attentat in Luxor, das Swissair Grounding, 9/11 oder der Tsunami im Indischen Ozean forderten uns stark. Nie wieder hatten wir so viele Katastrophen zu bewältigen wie in den Anfangsjahren.» Es habe Zeiten gegeben, in denen der Kontakt zu Obdachlosen und Arbeitsmigrant:innen sehr intensiv gewesen sei. In den ruhigeren Jahren hat sie den Freiraum genutzt, um beispielsweise Kunstprojekte zu verwirklichen oder während der Pandemie ein Online-Meditationsangebot auf die Beine zu stellen. Später kamen neue Flüchtlingswellen, die Pandemie und schliesslich der Krieg in der Ukraine. «Das alles lässt die Menschen des Flughafens nicht unberührt und macht etwas mit ihnen», so Andrea. Sie bringen diese erschütternden Themen mit an ihren Arbeitsplatz. Andrea ist es sehr wichtig, auch das Schöne miteinander zu teilen und gemeinsam zu lachen: «Humor, Leichtigkeit und Freude am Zusammensein sind zentral bei uns, denn wir wollen eine Kraftquelle sein.» Im Podcast «Mittagsfluug», den Andreas Team im Lockdown der Pandemie kreiert hat, leuchtet oft auch diese Seite auf.
Warum wählt man einen emotional so anstrengenden Beruf? Andrea überlegt, lächelt und antwortet dann: «Eigentlich habe ich mich nicht dafür entschieden, ich wurde ge- oder berufen.» Direkt nach dem Studium hat sie ein Praktikum am Flughafen absolviert und sich in diesen in ihren Augen «durchaus spirituellen Ort» verliebt: «Mein Interesse an der Vielfalt der Religionen, Kulturen und unterschiedlichen Lebensentwürfen der Menschen wurde hier perfekt beantwortet. Ich liebe die Fülle der Verschiedenheit und das Bewegte an meiner Arbeit. Kein Tag ist wie der andere. Kein Mensch ist wie der andere.»
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