Joël Mesot

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Eine international vernetzte Hochschule wie die ETH Zürich ist angewiesen auf gute Flugverbindungen. Der Flughafen, ein Steinwurf entfernt von unseren zwei Zürcher Standorten im Zentrum und auf dem Hönggerberg, ist deshalb von grossem Wert. Wissenschaft ist eine global betriebene Zunft. Dies zeigt sich auch an den mehr als 9000 Forschungskontakten der ETH mit internationalen Partnern. Mehr als die Hälfte davon sind in Europa, rund 2200 in den USA und 900 in Asien, wo die ETH seit 2012 ein Forschungszentrum in Singapur betreibt.

So weit, so gut. Wenn man es früher bei dieser nüchternen Feststellung belassen konnte, so folgt heute angesichts der fortschreitenden Klimaerwärmung ein grosses «Aber» hinter der Flugfreudigkeit der Wissenschaft. Wir stehen als bundesnaher Betrieb in der Pflicht, unsere CO2-Emissionen aus Dienstreisen bis 2030 zu halbieren und bis 2040 auf ein absolutes Minimum zu senken. Nachhaltigkeit ist gleichzeitig eine unserer strategischen Prioritäten.

Die ETH Zürich hat über ihre Forschung und den Wissens- und Technologietransfer starke Hebel, um die Dekarbonisierung voranzutreiben. Dazu gehört die Zusammenarbeit mit der Industrie, wie wir das mit der Coalition for Green Energy and Storage (CGES) anstreben. Für die Luftfahrt von besonderem Interesse ist die Technologie des ETH-Spin-offs Synhelion zur Produktion von klimaneutralem Solartreibstoff. In ihrer neusten Anlage produziert die Jungfirma mehrere Tausend Liter Sustainable Aviation Fuel (SAF) pro Jahr. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Zivilluftfahrt jährlich 290 Milliarden Liter Kerosin verbraucht, wird allerdings klar, welche gewaltigen Investitionen nötig sein werden, um diese Technologie in den nächsten Jahren zu skalieren. 

Das eine tun und das andere nicht lassen. Wir sind auch als Grossorganisation mit 25'000 Studierenden und gegen 11'000 Mitarbeitenden gefordert, «unser eigenes Haus» klimafreundlich zu gestalten. Dabei nutzen wir unseren Campus als Reallabor, um neue Technologien auszutesten. Nachdem insbesondere im Gebäudebereich der Treibhausgas-Ausstoss durch Heizen und Kühlen bereits merklich gesenkt werden konnte, rücken nun die indirekten Emissionen in den Wertschöpfungsketten der eingekauften Dienstleistungen und konsumierten Güter in den Fokus.

Und hier kommen die eingangs erwähnten Flugreisen ins Spiel. Die ETH hat dazu 2017 ein eigenes Projekt gestartet, um auf freiwilliger Basis die Emissionen von Dienstreisen zu senken. Da wir Reise-Daten schon seit 2006 erheben, haben wir ein ziemlich genaues Bild über die Flugbewegungen der ETH-Community. Damit begann ein spannender interner Prozess mit Diskussionen innerhalb der Departemente und in der Verwaltung. Wir werden dieses Jahr noch über einen Mix an Massnahmen entscheiden müssen, um unsere Emissionen bis 2030 zu halbieren und bis 2040 auch beim Reisen das Ziel von Netto-Null zu erreichen. Dabei ist es uns wichtig, Augenmass zu wahren, um den für Wissenschaftler:innen so wichtigen internationalen Austausch nicht zu verunmöglichen. Digitale Lösungen werden uns dabei helfen, aber wir kommen nicht umhin, gewisse Verhaltensweisen zu ändern. Es geht zwar nicht ohne Technik, aber schliesslich haben wir es als Menschen in der Hand, dass wir die gesteckten Klima- und Energieziele rechtzeitig erreichen.  

Joël Mesot

Präsident der ETH Zürich